Die Distanzierungsmaßnahmen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie haben unterschiedliche Bevölkerungsgruppen teils massiv belastet und das Verhältnis von Nähe und Distanz grundlegend verändert.

Wie komplex das Erleben der Pandemie von der gesellschaftlichen Position und Positionierung geprägt ist, wird in dem Vortrag auf der Basis von zwei umfassenden Studien aufgezeigt, die 2020 in Österreich und Deutschland durchgeführt wurden.

Berührungsdeprivation, stigmatisierende Kontaktvermeidung oder aber Grenzverletzungen durch zu viel Nähe sind ebenso wie der Kontaktverlust zu sexuellen Communities Erfahrungen, die ungleich verteilt sind in der Bevölkerung. Wer kann die Zeit der Pandemie zur Entspannung nutzen? Wer fühlt sich befreit von sozialem Erwartungsdruck? Wer kann das Privileg genießen, ohne nachzudenken, angstfrei im öffentlichen Raum mit wichtigen Bezugspersonen spazieren zu gehen? Und für wen hat sich eigentlich gar nicht so viel verändert durch die Distanzierungsmaßnahmen?

Der Vortrag wirft einen kritischen Blick auf die (De-)Legitimierung von Beziehungsarrangements und Intimitätsformen im Lockdown und zeigt, welche neuen Exklusions- und Spaltungslinien sich abzeichnen. Der Fokus liegt dabei auf den Veränderungen freundschaftlicher, sexueller und romantischer Beziehungen, Kinderwunsch, Datingroutinen, Ausgrenzungserfahrungen sexueller, geschlechtlicher und amouröser Minderheiten, sowie emotionale Arbeit in Zeiten physischer Distanzierung.

Dr. Barbara Rothmüller ist Soziologin und Post Doc Mitarbeiterin an der SFU Wien. Sie leitet die Studie „Intimität, Sexualität und Solidarität in der COVID-19 Pandemie“, die von der Wissenschaftsförderung der Stadt Wien und dem Netzwerk Wissenschaft der Arbeiterkammer Wien finanziert wird. Sie hat in Wien, Stanford und Luxemburg studiert und 2017 für ihre Forschung den Arlene Kaplan Daniels Award for Women and Social Justice der US-amerikanischen Society for the Study of Social Problems erhalten.

Nähere Informationen: http://barbararothmueller.net

Als Diskutant geladen: Claas de Boer

Dipl.-Psych. Claas de Boer ist Psychologischer Psychotherapeut und Sexualtherapeut. Von 2009 bis 2020 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Psychotherapeut im Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Sexualmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover tätig. Dort arbeitete er unter anderem im Standort Hannover des Präventionsnetzwerks ‚Kein Täter werden‘. Zudem war er von 2015 bis 2020 als Mitarbeiter des Sexualmedizinischen Kompetenzzentrums Hannover paar- und sexualtherapeutisch tätig. Seit 2021 arbeitet er in eigener sexualtherapeutischer Privatpraxis in Hannover.