Videobasierte Psychotherapie in pandemischen Zeiten: Eine psychodynamische Perspektive
Gerade in der von Unsicherheiten geprägten Anfangsphase der aktuellen Pandemie stellte sich für viele ambulante Psychotherapeut*innen aber eben auch für ihre Patient*innen die Frage nach dem geeigneten Setting ihrer Therapien. Neben der gewohnten Sitzung in der Praxis stand auch die video-basierte Psychotherapie zur Wahl, bei der die therapierende und die therapierte Person via Video in Kontakt treten. Wurde von den an der Therapie beteiligten Personen gemeinsam zugunsten der Videotherapie entschieden, erfolgte der Wechsel zwischen den Settings teilweise abrupt und bot so die Möglichkeit, Unterschiede zwischen den Behandlungsmodalitäten zu untersuchen.
An der Fakultät für Psychotherapiewissenschaft am Standort Berlin wurde zu diesem Zweck im vergangenen Jahr eine qualitative Studie durchgeführt. Von Interesse waren dabei Therapien aus den beiden Psychodynamischen Psychotherapieverfahren, zu denen zum einen die Psychoanalyse und zum anderen die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie zählt. Mittels halbstrukturierter Interviews wurden sowohl Psychotherapeut*innen (n=14) als auch Patient*innen (n=9) zu ihren Erfahrungen mit dem Wechsel zwischen den beiden Behandlungssettings befragt. Besondere Beachtung fanden in diesen Interviews sowohl der therapeutische Prozess als auch die therapeutische Beziehung. Die so gewonnenen Daten wurden durch die Grounded Theory Methodologie zusammengeführt.
Am Ende dieses Auswertungsprozesses entstanden vier Kernkategorien, die das Phänomen des Settingwechsels zu theoretischen Annahmen verdichten. Zunächst scheint die therapeutische Situation im Videosetting durchlässiger und weniger berechenbar zu sein, ein Umstand, der sich häufig in einer allgemeinen Verunsicherung auf beiden Seiten äußerte. Darüber hinaus trägt das Videosetting wohl zum Erhalt der therapeutischen Beziehung bei, dennoch kommt es mutmaßlich zu einer flacheren und weniger gerichteten Interaktion. Die Thematisierung der intersubjektiven Ebene gelingt gleichzeitig in verstärktem Maße, wodurch auch Chancen entstehen schambesetzte Themen anzusprechen. Nach einem Settingwechsel kommt es zudem zu einem Habituationsprozess. Erst nach dieser, einige Sitzungen im jeweiligen Setting andauernden, Gewöhnungsphase kann die therapeutische Arbeit wieder mit der höchstmöglichen Intensität fortgesetzt werden. Schließlich lies sich aus den Daten der Befragten noch eine Annahme zum Strukturniveau der behandelten Individuen ableiten: so sei die videobasierte Psychotherapie für Menschen mit strukturellen Einschränkungen weniger geeignet als für solche mit einem höheren, gängiger Weise als neurotisch bezeichnetem, Strukturniveau. Von Ersterem wird vereinfacht ausgedrückt bei Menschen mit Problemen in der Bewältigung alltäglicher Situationen und Beziehungen gesprochen, bei Letzteren handelt es sich eher um Menschen mit umgrenzten psychischen Beschwerden.
Vertiefende theoretische Überlegungen zu den zugrundeliegenden psychodynamischen Unterschieden zwischen Präsens- und Videosetting sowie erste Implikationen für die Praxis finden Sie in unserer Veröffentlichung dazu.
Download: Videobasierte Behandlungen in der psychodynamischen Psychotherapie (pdf)
Kontakt:
Univ.-Ass. Alena Leukhardt, Univ.-Ass. Maximilian Heider, Ass.-Prof. Dr. Katharina Reboly,
Univ.-Prof. Dr. Georg Franzen und Univ.-Prof. Dr. Christiane Eichenberg.
Webseite: PTW Department Berlin-Forschung
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